Im Kurs „Schreibtraining fürs Business“ im WritersStudio habe ich Silvia kennengelernt. Sie arbeitet als selbstständige Markenstrategin und Gründerin von Strategie Workshop. Silvia ist außerdem Mitorganisatorin der Creative Mornings Vienna, eine Vernetzungsplattform der Kreativszene in Wien, für die sie Unternehmer:innen zu verschiedenen Themen interviewt. Im August durfte ich 5 Fragen zum Thema Vertrauen beantworten. Die Kurzversion des Interviews findest du auf englisch online. Weil das Thema aber so wesentlich für meine Arbeit ist, möchte ich in diesem Beitrag meine Gedanken in einer mit euch teilen. Danke Silvia für diese spannenden Fragen (übersetzt aus dem Englischen):
1) Liebe Carmen, du bist eine professionelle Friseurin, aber deine Arbeit umfasst viel mehr als „nur“ Haareschneiden. Wie würdest du beschreiben, was du tust?
Ich bin seit 24 Jahren in diesem Beruf tätig und habe in dieser Zeit gelernt: Haareschneiden ist Arbeit an und mit Menschen. Daher bin ich als Friseurin vieles gleichzeitig – Therapeutin, Sozialarbeiterin, manchmal Coach, Entertainerin oder Mentorin… es hängt immer davon ab, was meine Kundin oder mein Kunde gerade braucht. Ich genieße es, in meinem Job diese verschiedenen Rollen zu übernehmen. Die Menschen kommen zu mir in den Salon, und genießen eine kleine Auszeit von ihrem Alltag. Sie entspannen sich und erzählen mir dann nicht nur, welchen Stil und Haarschnitt sie sich wünschen, sondern auch, wie sie sich selbst im Spiegel sehen und was an ihrem Erscheinungsbild (nicht) mögen und verändern möchten. Das sind schon sehr intime Informationen. Sehr oft vertieft sich das Gespräch weiter, und ich höre Geschichten aus ihrem Leben über ihre Gedanken und Gefühle.
Jeder Salon, jede Stylistin und jeder Stylist hat ihre/seine individuelle Art, die Vielseitigkeit unseres Berufs zu leben, daher hat auch jede*r ein unterschiedliches Stammklientel, die eigene „Herde“ sozusagen. Aus meiner tollen, über die Jahre gewachsenen Herde bekomme ich das schöne Feedback, dass sie mein Einfühlungsvermögen und meine offene, authentische Art schätzen. Das freut mich wahnsinnig, denn in meiner Arbeit authentisch zu sein gibt mir persönlich eine große Freiheit. So kann ich meine Kund:innen dabei begleiten, selbst authentisch zu sein. Gemeinsam erkunden wir in regelmäßigen Abständen die Veränderungen, nicht nur auf unseren Köpfen, sondern auch in unseren Köpfen.
2)Vertrauen ist der unsichtbare Faden, der unserer Beziehungen und die Gesellschaft zusammenhält. Dein Projekt „Cut Around the World“ hat ähnliche Themen erkundet. Wie ist dieses Projekt entstanden und was hast du herausgefunden?
„Cut Around the World“ begann als persönliches Abenteuer, bei dem ich auf Reisen Haare schnitt, im Austausch und um Erfahrungen mit Stylist:innen aus aller Welt zu sammeln. Während meines Studiums entwickelte sich das Vorhaben weiter, und ich gründete mit einem transkulturellen Team von Friseur:innen einen Pop-up-Salon. Wir schnitten Haare im öffentlichen Raum in Wien und Österreich. Das Projekt war unter anderem als solidarische Aktion gedacht, da einige der Stylist:innen aus meinem Team, aus ihren Heimatländern fliehen mussten und kaum Kontakt zu anderen Menschen außerhalb ihrer Asylunterkünfte hatten. Sie wollten ihren Job ausüben, die Sprache lernen und Teil der Gesellschaft sein, in der sie in Sicherheit suchen. Es war inspirierend zu beobachten, wie die Teilnehmenden in den Pop-up-Salons agierten, was mich dazu bewog, das Thema in meiner Masterarbeit weiter zu untersuchen.
Meine Forschung zeigte, dass der Pop-up-Salon fundamentale menschliche Bedürfnisse sichtbar macht und trotz des performativen Charakters zu eine Art „safe space“ wurde. Ein grundlegendes Vertrauen war durch das bekannte Salonsetting bereits vorhanden. Menschen die einander fremd waren, und zum Teil nicht einmal die selbe Sprache sprachen kamen im Pop-up-Salon zusammen, interagierten, tauschten Komplimente aus, beschrieben Frisuren, lächelten sich an und genossen die gemeinsame Zeit. Sie fanden in echter Resonanz zueinander. Vertrauen erwies sich als fundamentale Komponente im Pop-up-Salon, was bei einer körpernahen Dienstleistung wie Haareschneiden kaum überrascht, aber dennoch oft übersehen wird. Der Wunsch nach Anerkennung spielt ebenfalls eine signifikante Rolle. Menschen möchten wahrgenommen, gehört und von anderen gesehen werden. Im Pop-up-Salon, aber auch im klassischen Salon Setting können sie dieses Bedürfnis auf natürliche und ungezwungene Weise stillen.
Als Sozialwissenschaftlerin und Friseurin empfinde ich diese Ergebnisse als außerordentlich wertvoll: Grundlegende menschliche Bedürfnisse können direkt im Salon vermittelt und erlebt werden. Menschen suchen und finden Anerkennung durch die Interaktion mit Anderen im Frisiersalon. Diese wesentliche soziale Komponente verdient meiner Meinung nach, mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung für unsere Branche, aber auch für viele andere körpernahe Dienstleistungen, oder andere Berufe die oft von Frauen ausgeführt werden.
3) Unser Thema diesen Monat dreht sich auch darum, auf Kreativität als eine unerschöpfliche Quelle zu vertrauen. Wie schärfst du deine kreativen Fähigkeiten und stellst sicher, dass du kontinuierlich frische, innovative Ideen in deine Praxis einbringst?
Ich beziehe meine Inspiration aus allen möglichen Begegnungen und würde mich grundsätzlich als sehr neugierig beschrieben. Eintauchen in verschiedenste Themen macht mir einfach Spaß, ich lerne gerne neue Perspektiven kennen. Das ist wahrscheinlich der Grund, für meinen bunten Lebenslauf: Neben meiner Aus- und Weiterbildung als Friseurin habe ich Geografie und internationale Entwicklung auf zweitem Bildungsweg studiert. Ich bin zertifizierte Outdoor-Pädagogin, Yoga-Lehrer*in, arbeite als Trainerin bei ipsum und beschäftige mich mit Gewaltfreier Kommunikation und anderen Methoden und Gruppendynamischen Prozessen. Der Austausch mit Expert:innen zu diesen spannenden Themen ist eine wichtige Quelle meiner Inspiration.
Auch meine Kund:innen inspirieren mich Tag für Tag. Ich habe wunderbare Mesnchen um mich im Salon, das soll auch mal gesagt werden, und höre wirklich gerne ihre Geschichten. Das ist auch ein wesentlicher Teil meines Berufes als Stylistin: Menschen erzählen mir ihre Geschichte und ich gestalte eine Frisur die zu ihren Lebensumständen passt. Ich begleite meine Kund:innen durch Transformationsprozesse, manchmal über viele Jahre hinweg.
Außerdem arbeite ich unglaublich gern mit mit anderen Unternehmer:innen zusammen. Im Salon gibt es Kaffee von Null die Bohne, Bier von Muschikraft, und immer wieder neue Kooperationen mit Künstler:innen. Gegenseitige Unterstützung und Austausch gibt mir einen enormen Schub an Inspiration und Kreativität. Vor allem auch mit Kolleg:innen aus der Hairstyling-Branche, weil ich Solidarität und Zusammenhalt als eine der wichtigsten Quellen für Innovation und Inspiration erkannt habe.
… Und manchmal kommen neue Ideen vor allem auch dann, wenn ich gerade gar nichts tue und in der Natur unterwegs und in Gedanken weit weg von der Arbeit bin.
4)Vertrauen beinhaltet Verletzlichkeit und das Risiko, enttäuscht zu werden. Kannst du eine Zeit beschreiben, in der du solche Emotionen erlebt hast und das Vertrauen in dich selbst wieder aufbauen musstest?
Als Einpersonen-Unternehmen erlebe ich oft Phasen, in denen ich an meine Grenzen stoße und das Vertrauen in mein Tun in Frage stelle. Ich vergesse immer wieder, dass Scheitern zum Lernen dazugehört. Außerdem darf ich mit ein für alle Mal merken, dass Phasen des Nichtstuns gesund sind und faul sein erlaubt ist.
Die längste unsichere Phase war wohl als ich zur Uni ging. Als Friseurin fühlte ich mich auf Universität wie ein Alien. Ich kämpfte damit, Prüfungen zu bestehen, hatte Angst, mein Stipendium zu verlieren, und musste Deadlines einhalten, während ich parallel im Salon arbeitete. Es dauerte sehr lange, mich im akademischen Umfeld zurechtzufinden. Ständig kämpfte ich mit enormen Selbstzweifeln, fühlte mich ungebildet und einfach nur fehl am Platz. Die ersten Jahre verheimlichte ich sogar, dass ich Friseurin war, weil ich mich vor den anderen Studierenden dafür schämte. Erst durch den ermutigenden Zuspruch von Freund:innen, erkannte ich mit der Zeit wie einzigartig mein Weg war und dass ich stolz darauf sein konnte.
Die Fertigstellung meiner Masterarbeit während Corona und parallel zu meiner selbstständigen Tätigkeit war dann noch eine Katastrophe für meine körperliche und geistige Gesundheit. Burn-Out Hurra. Hätte ich damals nicht so eine großartige Betreuerin gehabt, wäre die Masterarbeit niemals fertig geworden. Meine Supervisorin unterstützte mich auf so vielen Ebenen, so konnte ich erfolgreich abschließen. In Zeiten der Verzweiflung brauche ich Menschen an meiner Seite. Dann suche ich den Austausch und jemand, der mir zuhört. Ich schätze meinen Freundeskreis sehr dafür, aber auch meine Kund:innen. Das Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit ist es, was mich sowohl persönlich als auch beruflich stets aus Phasen der Verzweiflung zurück in das Vertrauen bringt.
5)Vertrauen ist ein wechselseitiges Geschenk. Wie baust du ein anfängliches Maß an Vertrauen mit den Menschen auf, mit denen du arbeitest? Und welche Schritte unternimmst du, um sicherzustellen, dass dieses Vertrauen mit der Zeit wächst?
Für mich beginnt der Aufbau von Vertrauen schon beim Betreten des Salons und der Gestaltung des Raumes. Es ist mir wichtig, dass sich meine Kund:innen bei mir wohlfühlen. Daher lege ich großen Wert darauf, eine angenehme Atmosphäre und ein einladendes Raumklima zu schaffen.
Als Friseurin pflege ich eine lockere freundschaftliche Beziehung mit meinen Kundinnen und Kunden. Ich habe ehrliches Interesse an ihren Bedürfnissen und Gefühlen, denn oft spiegeln sich darin ihre Wünsche für den neuen Look wider. Vertrauen ist in einer körpernahen Dienstleistung wie dem Haareschneiden wesentlich und ich bin überzeugt, dass es auf Respekt und Empathie basiert. Dazu gehört manchmal auch, klar Grenzen zu setzen und offen zu kommunizieren. Ich habe ich gelernt, dass Klarheit wichtiger ist als Harmonie. Vor allem in herausfordernden Situationen.
Auch gemeinsames Lachen schafft eine gute Basis für Vertrauen. Manchmal hilft mein Sinn für Humor meinen Kund:innen dabei, sich nicht komplett in Selbstkritik vor ihrem Spiegelbild zu verlieren. Oder auch, um sich über gewisse (gesellschaftliche) Prägungen über das äußere Erscheinungsbild bewusst zu werden – und einfach mal darüber zu lachen.
Um das Vertrauen im Laufe der Zeit weiter zu festigen, lege ich großen Wert auf konstant hochwertigen Service und qualitative Produkte. Transparenz in meinen Arbeitsprozessen und Ehrlichkeit im Beratungsgespräch helfen dabei, die Erwartungen meiner Kund:innen abzustecken und Vertrauen in meine Expertise zu stärken. Ich teile außerdem auch meine Konzepte und Ideen für den Salon, lege Wert auf die Meinung und das Feedback meiner Kund:innen und lasse es in mein Angebot einfließen. Dieser kooperative Ansatz hilft mir Entscheidungen zu treffen und „Cut Around the World“ weiterzuentwickeln.